Ein Jahr nach der Bundestagswahl ziehen Einrichtungen aus der Pflege, dem Gesundheitswesen und der Behindertenhilfe aus Würzburg, München, Nürnberg und Amberg eine ernüchternde Bilanz: Die Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten haben sich nicht maßgeblich verbessert. Durch den zunehmenden Personalmangel hat sich die Lage sogar verschärft. Bei einem Treffen mit Bundestagsabgeordneten von CSU und Bündnis 90/Die Grünen im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin (am 12. Oktober 2022) warben Vertreter vom Aktionsbündnis „Dienst-Tag für Menschen“ deshalb erneut für bessere Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten – und reisten mit Rückenwind zurück.
„Wir sind der Einladung von Paul Lehrieder zu einem Pflegegespräch in Berlin sehr gerne gefolgt“, sagte Krankenhausdirektor Karsten Eck von der Klinik König-Ludwig-Haus, „denn die bisherigen Reaktionen aus dem Bundesgesundheitsministerium waren schlichtweg enttäuschend.“ So hätte das Ministerium in schriftlichen Statements und persönlichen Gesprächen stets auf bereits eingeleitete Maßnahmen wie die Pflegestärkungsgesetze oder die aktualisierte Pflegepersonalregelung verwiesen, die allesamt nur Tropfen auf den heißen Stein seien.
Viel Verständnis für den Frust der 28 Organisationen, die sich vor zwei Jahren zum Aktionsbündnis „Dienst-Tag für Menschen“ zusammengeschlossen und wöchentlich demonstriert haben, zeigten dagegen die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Paul Lehrieder, Emmi Zeulner und Anja Weisgerber. Aber auch die Grünen-Gesundheitsexpertin Kordula Schulz-Asche gestand ein, dass es Verbesserungsvorschläge aus dem Wahlprogramm ihrer Partei nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hätten.
35-Stunden-Woche – realistisch oder nicht?
Dazu gehört die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich – ein Punkt, den das Aktionsbündnis ganz oben auf seiner Forderungsliste an die Politik stehen hat und über den bei dem Pflegegespräch kontrovers diskutiert wurde. „Wir brauchen ein klares Signal für Nachwuchskräfte und vor allem an unsere Beschäftigten, dass sie mit ihren Hilferufen endlich ernst genommen werden“, machte Walter Herberth deutlich und ergänzte: „Das geht nicht von heute auf morgen, aber mit der Perspektive auf drei oder fünf Jahre.“ Als Beleg dafür, wie groß die Enttäuschung mittlerweile ist, las der Oberpflegamtsdirektor der Stiftung Juliusspital Würzburg aus einem Kündigungsschreiben eines Mitarbeiters vor. Der Pfleger sehe einfach keine Perspektive mehr in seinem Beruf.
Mit Blick auf die vielen Überstunden in Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen konnte sich Emmi Zeulner nicht vorstellen, dass die 35-Stunden-Woche ein Versprechen sei, dass die Politik auch halten könne. Sie selbst ist Gesundheits- und Krankenpflegerin und hatte bereits bei einem Expert*innen-Hearing des Aktionsbündnisses in der Würzburger Posthalle kurz vor der Bundestagswahl 2021 teilgenommen. Der Personalmangel führe jetzt schon dazu, dass immer wieder Fachkräfte an Wochenenden oder freien Tagen für erkrankte Kolleginnen und Kollegen einspringen müssen. Ungeklärt sei auch, wie die zusätzlichen Stellen finanziert werden sollten, gab Paul Lehrieder zu bedenken.
Verbot von Gewinnabschöpfungen und Leiharbeit
Eine Möglichkeit, mehr Geld im System zu halten, sieht das Aktionsbündnis darin, die Auszahlung von Gewinnen aus Gesundheits- und Pflegeleistungen an Aktionäre zu verbieten. Auch gemeinnützige und öffentlich-rechtliche Träger müssen wirtschaftlich handeln. Im Gegensatz zu privaten Großkonzernen reinvestieren sie aber langfristig alle Überschüsse in Personal, Infrastruktur und Gebäude.
Ein weiteres Problem, das zu enormen Kostensteigerungen und viel Unmut bei den Beschäftigten untereinander führe, sei die Leiharbeit. Pflegekräfte, die über Zeitarbeitsfirmen angestellt sind, verdienen mehr und haben regelmäßigere Arbeitszeiten. Viele fest angestellte Fachkräfte wechseln deshalb in die Zeitarbeit. Die Einrichtungen leihen sie zu deutlich höheren Arbeitgeberkosten wieder aus, um Stationen nicht schließen zu müssen. Alle Gesprächsteilnehmer waren sich deshalb einig, dass ein Verbot der Leiharbeit in der Pflege und eine Erhöhung der Sonderzulagen für Wochenend-, Feiertags- und Nachtschichten eine deutliche Verbesserung bewirkt würde.
Aktionsbündnis will nicht lockerlassen
Mit dem Versprechen im Gepäck, dass die fränkischen CSU-Abgeordneten über die Parteigrenzen hinweg nach Lösungen suchen und mit dem Aktionsbündnis „Dienst-Tag für Menschen“ im Dialog bleiben werden, reisten die Einrichtungsvertreter mit Rückenwind zurück nach Würzburg. „Auch wenn es noch ein weiter Weg ist, sind wir nach dem Austausch heute wieder etwas zuversichtlicher, dass unsere Demonstrationen und die vielen Gespräche mit Politiker*innen unterschiedlicher Parteien und Ebenen doch noch Wirkung zeigen“, zog Karsten Eck Resümee. Walter Herberth ergänzte: „Wir müssen einfach dranbleiben – es bleibt uns auch nichts Anderes übrig, wenn wir nicht vor noch mehr leeren Betten in den Krankenhäusern und Einrichtungen stehen möchten.“